Vorlesung: Abwehr und Immunsystem
Dr. Rolf Kötter. Zentrum für Anatomie und Hirnforschung
Letzte Änderung: 25.11.96
Die Abwehrmechanismen des Körpers können nach folgenden Kriterien
eingeteilt werden:
- unspezifische (angeborene) versus spezifische (erworbene)
Abwehrmechanismen
- zelluläre versus humorale (molekulare) Abwehrmechanismen
Merkmale unspezifischer Abwehrmechanismen:
- wirken gegen unterschiedliche Fremdstoffe mit etwa gleicher Intensität
- wirken bereits beim ersten Kontakt mit Fremdstoffen
Merkmale spezifischer Abwehrmechanismen (=Immunreaktionen):
- weisen eine hohe Spezifität auf
- werden nach Erstkontakt mit dem Fremdstoff (=Antigen) mit einer Latenz
wirksam
- besitzen eine jahrelange Gedächtnisfunktion
- die erste Begegnung mit dem Antigen verläuft anders als jede spätere
Begegnung mit demselben Antigen
Die wichtigsten Abwehrmechanismen kann man sich nach folgendem Schema
merken:
Aus der Kenntnis dieser Mechanismen lassen sich einige pathologische
Reaktionen besser verstehen.
Unspezifische humorale Abwehr
Komplement-System
- Ca. 20 Glykoproteine, die von Makrophagen synthetisiert werden
- Zwei Kaskaden mit gemeinsamer Endstrecke:
- "klassische" Kaskade (C1 - C4): durch Antigen-Antikörper-Komplexe
aktiviert
- "alternative" Kaskade (B, C3, D, P): durch Krankheitserreger
aktiviert
- gemeinsame Endstrecke (C5 - C9)
- Wirkungen:
- Stimulation von Zellen mit Abwehrfunktion (durch C3b, C5a) z.B. Makrophagen,
basophilen Granulozyten, Thrombozyten (Entzündungsreaktion)
- Kontaktvermittlung zur Einleitung der Phagozytose (Opsonierung durch
C3b) bzw. der Zellkooperation (zwischen Lymphozyten und Makrophagen durch
C3a)
- Lyse von Zellen (durch C5 - C9)
- Auflösung von Immunkomplexen (durch C3b)
Andere unspezifische humorale Abwehrmechanismen:
- Lysozym (wird beim Zerfall phagozytierender Zellen frei)
- Zytokine: Interferone (IFN), Interleukine (IL), Kolonie-stimulierende
Faktoren (CSF), Tumornekrosefaktor (TNF)
- sind Polypeptide mit Hormon-artiger Wirkung
- werden von T-Lymphozyten, Makrophagen und Granulozyten gebildet
- beeinflussen die Proliferation und Differenzierung von Lymphozyten
und Makrophagen (Interaktion mit zellulären Abwehrmechanismen)
- Akute-Phase-Proteine: C-reaktives Protein (CRP), Serumamyloid A, alpha1-Antitrypsin,
etc.
Unspezifische zelluläre Abwehr
Phagozytose
Vernichtung von Fremdstoffen mit folgenden Stadien:
- Chemotaxis
- Adhärenz
- Phagosombildung
- Phagolysosombildung
- Abbau bzw. Exozytose
Monozyten/Makrophagen
- Stammen von pluripotenten Stammzellen des Knochenmark ab
- Treten unter vielen verschiedenen Namen auf (z.B. Alveolarmakrophagen,
Kupffersche Sternzellen, Osteoklasten)
- Werden zu überlappenden Systemen zusammengefaßt:
Name Bedeutung Bestandteile
RES Retikulo-endotheliales Histiozytäre Retikulumzellen
System Kupffersche Sternzellen (Leber)
[früher auch: Uferzellen (Knochenmark,
Milz, Lymphknoten)]
RHS Retikulo-histiozytäres Gewebsmakrophagen (=Histiozyten)
System Mesogliazellen
MPS Mononukleäres Monozyten
Phagozyten-System RES-RHS einschließlich:
Follikuläre dendritische
Retikulumzellen
Interdigitierende Retikulumzellen
Langerhans-Zellen (Epidermis)
Osteoklasten (Knochen)
Hofbauer-Zellen (Plazenta)
Mikrogliazellen (Gehirn)
Mesangiumzellen (Niere)
- Werden durch Zytokine aktiviert (z.B. Interferone)
- Funktionen
- Antigen-Präsentation (Interaktion mit spezifischer zellulärer
Abwehr)
- Aufnahme des Antigens oder Infektion der Zelle
- Denaturierung des Antigens in Fragmente
- Transport zu Vesikeln, die Individuum-spezifische Zellerkennungsmoleküle
(MHC = major histocompatibility complex) enthalten
- Kopplung der Fragmente an MHC-Moleküle
- Transport des Komplexes an die Zellmembranoberfläche
- Abgabe von Interleukin-1, das T-Helferzellen stimuliert
- Synthese von Komplement-Faktoren (Interaktion mit unspezifischer humoraler
Abwehr)
Mikrophagen
Neutrophile Granulozyten
- Schlecht färbbare Granula enthalten zytotoxische Faktoren (Defensine,
Kathepsine, Laktoferrin)
- Phagozytieren besonders gut Bakterien, die mit Antikörpern und
Komplement C3b behaftet (opsoniert) sind
- Kurze Lebensdauer (ca. 3 Tage), bilden Eiter
Eosinophile Granulozyten
- Sind vermehrt bei allergischen und Wurmerkrankungen
- Binden über Komplement (C3b)
- Eosinophile Granula enthalten zytotoxische Substanzen (eosinophiles
kationisches Protein = ECP, major basic protein = MBP)
Natürliche Killerzellen
- sind mit den T-Lymphozyten verwandt (= non-B non-T Lymphozyten)
- wirken ohne Immunisierung auf verschiedene virusinfizierte oder Tumorzellen
- produzieren Zytokine (z.B. IFN-gamma, TNF-alpha)
Spezifische humorale Abwehr
Antigene
- Antigene sind Fremdstoffe, die spezifische Abwehrmechanismen anregen.
Hierzu zählen insbesondere:
- Erreger von Infektionskrankheiten (Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen)
- Fremde Moleküle (z.B. Pollen, Hausstaub, tierische Eiweißstoffe,
Chemikalien, Arzneimittel)
- Tumorzellen
- natürlich vorkommende Antigene besitzen mehrere anregende Determinanten
an ihrer Oberfläche (=Epitope)
- kleinmolekulare Fremdstoffe (Haptene) benötigen makromolekulare
Träger, um als Antigen zu wirken
Antikörper
- Antikörper (= Immunglobuline) sind Proteine, die von Plasmazellen
auf den Reiz eines Antigens hin gebildet werden
- Sie werden in 5 Klassen unterteilt (IgG, IgM, IgA, IgD, IgE)
- Immunglobulin G (IgG) ist die häufigste Klasse und besteht aus:
- zwei leichten langen Ketten (L chains) und
- zwei schweren kurzen Ketten (H = heavy chains)
- L- und H-Ketten sind über eine Disulfidbrücke miteinander
verbunden
- Die Antigen-Bindungsstelle liegt in dem verbundenen Teil zwischen der
L- und der H-Kette (antigen binding fragment = Fab)
- Die freien Enden der H-Ketten neigen zur Kristallisierung (crystallizable
fragment = Fc). Durch Disulfidbindung zwischen zwei freien Enden der H-Ketten
entsteht die Y-förmige Struktur des IgG. Fc bindet Lymphozyten oder
Komplement
Mechanismen
- Auslösung durch Kontakt mit einem Antigen:
- Vermittlung durch B-Lymphozyten:
- im Knochenmark (Bone marrow) geprägte Lymphozyten, die
sich über den Blut- und Lymphweg vor allem im Keimzentrum der Follikel
von Milz und Lymphknoten ansiedeln
- differenzieren sich nach Erstkontakt mit dem Antigen in Plasmazellen
und Gedächtniszellen
- Freisetzung von Antikörpern aus Plasmazellen
- Plasmazellen, die von einer gemeinsamen Vorläufer-Plasmazelle
abstammen, (=Zellklon) bilden nur eine Sorte von genau gleichen Antikörpern
(durch Verschmelzung eines B-Lymphozyten mit einer Tumorzelle können
große Mengen "monoklonaler" Antikörper hergestellt
werden)
- Antikörperbildung erfordert Kooperation mit T-Helferzellen
- Bildung von Antigen-Antikörper-Komplexen (Immunkomplexen)
- feste, nicht-kovalente Bindung zwischen Antigen und Antikörper
- Inaktivierung des Antigen durch Präzipitation, Agglutination oder
Zytolyse
- Interaktion zwischen Antikörper und Komplementfaktoren
Spezifische zelluläre Abwehr
T-Lymphozyten
- entstehen aus Stammzellen im Knochenmark
- werden im Thymus geprägt
- besitzen Oberflächenrezeptoren (T-Zell-Rezeptor), die den humoralen
Antikörpern ähneln
- der T-Zell-Rezeptor muß sowohl das passende Antigen als auch
die körpereigene Antigen-präsentierenden Zelle (Makrophagen)
erkennen (über MHC-Proteine)
- Aktivierung (z.B. durch Interleukine) führt zur Vermehrung des
T-Zell-Klons mit Bildung von Effektor- und Gedächtniszellen
Subtypen von T-Lymphozyten
- T-Killerzellen = zytotoxische T-Zellen: Zerstörung virusinfizierter
Zellen, Transplantatabstoßung, Tumorabwehr
- T-Helferzellen: Förderung der Reifung von antigenstimulierten
B- und T-Lymphozyten (T-Helferzellen sind die wichtigsten Träger des
CD4-Membranproteins, eines spezifischen Rezeptors für das AIDS-Virus
= HIV)
- T-Suppressorzellen: Hemmung von T-Helferzellen
- T-Gedächtniszellen
Pathologie der Abwehrmechanismen
Schäden können durch sehr starke oder durch fehlende Abwehrreaktionen
entstehen
Überempfindlichkeitsreaktionen
- Typ 1 (Sofortreaktion): Antigenbindung an IgE-Antikörper auf Mastzellen
und basophilen Granulozyten bewirkt Degranulation mit Freisetzung von Histamin;
Desensibilisierung durch kleine Mengen Antigen erzeugt IgG-Antikörper,
welche das Antigen vor der Bindung an IgE abfangen.
- Typ 2 (zytotoxische Reaktion): Bindung von IgG oder IgM an zellständige
Antigene mit Aktivierung der Endstrecke des Komplementsystems (Opsonierung)
führt zur Zytolyse
- Typ 3 (Antigen-Antikörper-Komplexe): Einlagerung von IgG- und
IgM-Immunkomplexen in Organen mit hoher Durchblutung
- Typ 4 (Spätreaktion): sensibilisierte T-Lymphozyten und Makrophagen
reagieren mit Fremdgewebe
- Typ 5 (Antikörper-Reaktion): Bindung von Antikörpern an Membranrezeptoren
führt zur Fehlregulation
- Typ 6 (antikörperabhängige Zytotoxizität): Bindung von
Antikörpern an die Zelloberfläche bewirkt Zytolyse durch angelockte
Makrophagen
Immuntoleranz
Ursachen: Alterung, Schädigung oder therapeutische Unterdrückung
von Abwehrmechanismen
E-mail für Kommentare an Rolf Kötter, rk@hirn.uni-duesseldorf.de